Ein Klassenunterschied
Vergleich zweier Weltmärkte - warum es in einem Zweikampf vom US- und europäischem Aktienmarkt einen klaren Favoriten gibt. Eine Analyse in vier Schritten.
Derzeit haben Jahresausblicke wieder Hochkonjunktur und wie in jeden Jahr geht es dabei nicht nur um die profane Frage, ob das kommende Jahr ein gutes oder schlechtes Aktienjahr wird. Auch die Frage, ob sich der europäische oder US-amerikanische Aktienmarkt über die nächsten zwölf Monate besser schlagen wird, ist traditionell elementarer Bestandteil eines solchen Blicks in die Kristallkugel. In diesem Jahr scheint man sich da weitgehend einig: 2022 ist an der Börse Europa Trumpf! - Diesmal aber wirklich, möchte man hinzufügen; denn schließlich wird die Wette auf Europa seit Jahren immer wieder gesetzt und hat sich fast genau so häufig bisher als falsch erwiesen.
Warum ist das so? Weshalb gelingt es dem US-Aktienindex S&P 500 immer wieder, deutlich besser abzuschneiden als sein europäisches Pendant, der ähnlich marktbreite Stoxx 600? Und spricht das gute Abschneiden der letzten Jahre eher für eine Fortsetzung dieses Trends oder ist es wie beim Roulette: Wenn die Kugel dort zuletzt zehn Mal in Folge "rot" anzeigte, dann muss doch beim nächsten Mal "schwarz" kommen?! So falsch diese Annahme beim Glückspiel ist - an der Börse haben Trends nicht selten einen Grund, der dann eher für deren Fortsetzung als für eine unmittelbar bevorstehende Trendwende sprechen würde. Beginnen wir also mit der Frage nach dem "Warum", dann folgt womöglich die Antwort auf die Frage "Fortsetzung oder Trendwende" daraus.
Kontinuierlich hohe Gewinne bei US-Unternehmen
Aktienkursentwicklungen spiegeln in erster Linie die Gewinnentwicklung der jeweiligen Unternehmen. Wie eng beide Entwicklungen miteinander verknüpft sind, verdeutlicht der folgende Blick in die Geschichte: Mitte November 1955 stand der S&P 500 bei 46,50 Punkten. Der US-Aktienindex hat sich in den zurückliegenden 66 Jahren somit fast genau verhundertfacht. Doch auch die Gewinne der Unternehmen, deren Kursentwicklung der S&P 500 spiegelt, haben sich seit Anfang der 1950er Jahre verhundertfacht. Man kann also sagen, dass der Index seither zwar gestiegen, aber nicht teurer geworden ist. Schließlich zahlen Anleger heute zwar das Hundertfache, bekommen aber für ihr Geld auch das Hundertfache.
Erstaunlich ist die hohe Vervielfachung der Unternehmensgewinne, in deren Folge die Aktienkurse dann entsprechend stiegen. Auch die Konstanz, mit der die Gewinne über die zurückliegenden fast sieben Dekaden regelmäßig um etwa sieben Prozent pro Jahr zulegten, ist beeindruckend. Die vergangenen 20 Jahre machen da keinen Unterschied (siehe Grafik unten). Diese Stärke und Prognostizierbarkeit der durchschnittlichen Unternehmensgewinne, die auch mit Gewinnqualität übersetzt werden könnte, machen US-Unternehmen für Anleger so attraktiv.
Ganz anders sieht das bei europäischen Unternehmen aus. Natürlich nicht bei allen, aber in der Breite. Hier ist der marktbreite Aktienindex Stoxx 600 stark von zyklischen Unternehmen geprägt, deren Erfolg maßgeblich von der konjunkturellen Entwicklung abhängt. Durch diese stark zyklische Ausrichtung fällt das Wachstum der Gewinne der Unternehmen im Index über die Jahre nicht nur magerer aus. Es schwankt auch viel stärker und zwar abhängig davon, ob die Wirtschaft läuft oder eben nicht.
Für einen Anleger bedeutet das: Das Risiko ist bei einem Investment in den europäischen Aktienindex Stoxx 600 höher als beim S&P 500, weswegen der europäische Markt im Aggregat billiger sein muss. Wäre er gleich teuer, würde jeder kühl rechnende Investor den Markt mit dem stärkeren und stabileren Gewinnwachstum bevorzugen, also den US-Markt. Es bedeutet aber darüber hinaus auch, dass ein Anleger in den europäischen Aktienmarkt eine sehr optimistische Einschätzung hinsichtlich des Gewinn- und damit Wirtschaftswachstums haben muss.
Was ist eingepreist?
Deutlich wird das, wenn man sich der Frage nach dem Marktpotenzial in Europa über die Frage "Was ist eingepreist?" nähert. Unterstellen wir für die kommenden Jahre ein Zinsniveau und ein Gewinnwachstum von jeweils drei Prozent. Damit nehmen wir an, dass die Gewinne der Unternehmen im Stoxx 600 in der Summe 1,5-mal so stark wachsen wie über die zurückliegenden Dekaden. Für einen zyklischen Markt ist das also sehr optimistisch. Dazu passt, dass wir in unserer Rechnung auch ein deutlich höheres Zinsniveau unterstellen - wer starkes Wachstum erwartet, darf auch davon ausgehen, dass die Zinsen etwas steigen.
Tatsächlich errechnet sich für den Stoxx 600 in diesem Szenario ein Potenzial von gut zehn Prozent. Allerdings müsste sich das Gewinnwachstum für US-Firmen im Vergleich zu dem der vergangenen 10, 20, 40 und 70 Jahren halbieren. Abgesehen davon, dass man eine gute Erklärung für ein Szenario bräuchte, in dem sich das Gewinnwachstum zyklischer Aktien spürbar erhöht, während es sich bei den seit Jahrzehnten konstant abliefernden Unternehmen aber halbiert - würde nicht einmal das reichen, um eine bessere Aktienkursentwicklung in Europa zu erklären, wie folgende Berechnung zeigt:
Zurecht könnte man nun argumentieren, dass das zyklische Investment primär nicht aufgrund seiner langfristigen Gewinnerwartungen gekauft, sondern eben in ganz konkreten Phasen beigemischt wird, wenn nämlich mit hohem Wirtschaftswachstum zu rechnen ist. Dann aber wäre man jedoch bei einer Strategie des "Market-Timings", die versucht, durch die Bestimmung günstiger Ein- und Ausstiegszeitpunkte einen Ertrag zu erzielen.
Solche Strategien gelten als riskant und hier sollte man sich seiner Sache schon sehr sicher sein. Ein Blick auf die relative Wertentwicklung des europäischen Aktienmarktes zum US-Aktienmarkt seit 2008 zeigt, dass der Trend über die Zeit eindeutig in Richtung US-Markt zeigt (siehe Chart 2). Bereinigt man jetzt den Chart der relativen Performance um die Phasen, in denen sich der US-Markt besser schlug und richtet die Aufmerksamkeit nur auf die Phasen, in denen europäische Aktien besser liefen und die zumindest länger als ein paar Tage anhielten, dann bleiben nicht besonders viele solcher Phasen übrig.
Wer also auf eine bessere Wertentwicklung europäischer Aktien setzt, geht ein hohes Risiko ein. Es wäre ähnlich wie bei einer Sportwette, bei der man auf den Außenseiter setzt. Entsprechend müsste die Quote für den Sieg eines Außenseiters deutlich höher ausfallen. Wer würde schon 100 Euro (Vereinsvorlieben wurden hier außer Acht gelassen) bei einem Duell des Erstliga-Meisters gegen einen Zweitligisten auf den Zweitligisten setzen, wenn ihm im Falle eines Sieges des Außenseiters lediglich fünf Euro Gewinn winken würden. Daher sollten Anleger, die auf eine bessere Wertentwicklung bei europäischen Aktien setzen wollen, wissen: Drei der letzten vier (kurzen) Phasen, in denen sich europäische Aktien zumindest für ein paar Wochen besser entwickelten als US-Aktien, brachten Anlegern nicht einmal zehn Prozent ein.
All diese Fakten schließen natürlich nicht aus, dass auch das Jahr 2022 wieder einmal ein paar Wochen bringen, in denen sich Fans europäischer Aktien in ihren Erwartungen, dass der Außenseiter auch einmal den Meister schlägt, bestätigt fühlen können. Das ändert aber nichts daran, dass diese "Prognose" nichts anders als eine Spekulation, eine Wette mit einem ausgesprochen schlechtem Chance-Risiko-Verhältnis ist. Sollte sich das nötige Wachstum tatsächlich einstellen, erleidet man auch mit stabileren Aktien oder Märkten keinen Schiffbruch. Bleibt das Wachstum hingegen aus, ist man bei stabileren Anlagen sehr viel besser aufgehoben als mit einem zyklischen Investment.
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Binder Manfred, MLS
allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger
Quelle: Flossbach von Storch
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